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Aus dem Wirken der Zeitgeister: Erzengel Anael als der Revolutionär

Lazarus 1, 2005

Aus dem Wirken der Zeitgeister: Erzengel Anael als der Revolutionär

Emil Páleš

Die siebenfältige Struktur der Zeit

„Ruhmreicher Kaiser! Es ist die Ansicht sehr vieler Persönlichkeiten der alten Zeit, dass diese geschaffene Welt aus dem Willen der Höchsten Intelligenz (die Gott ist) geordnet und gelenkt wird durch sekundäre Intelligenzen... unter denen durch sieben Geister, die zu den Herrscher der sieben Planeten bestellt sind... aus denen, seit dem Beginn des Himmels und der Erde, jeder 354 Jahre und 4 Monate die Welt beherrscht in der Reihenfolge...“.1 Mit diesen Worten beginnt im Jahre 1508 Johannes Trithemius, ein Abt des Klosters in Sponheim, sein Traktat „über die sieben sekundären Ursachen oder Intelligenzen, die die Umläufe der Himmelssphären lenken nach Gottes Willen“, gewidmet dem Kaiser Maximilian.

Es sind die Erzengel Oriphiel, Anael, Zachariel, Raphael, Samael, Gabriel und Michael, die sich in einem Reigen je ein Saturnjahr (=354 Sonnenjahre) untereinander ablösen und die Weltgeschichte inspirieren. Trithemius selber übernahm dies von Peter Abano, einem Gelehrten aus dem 13. Jahrhundert, und der weiter aus noch älteren Quellen, die man zurück bis zu den Gnostikern verfolgen kann.

Rudolf Steiner war einer der wenigen, der auf die vergessene alte Lehre über Zeitgeister in der Neuzeit Aufmerksamkeit gezogen hat. In seinen Vorträgen ist manches zur Wirkung der Zeitgeister in verschiedenen Zusammenhängen hier und da zerstreut. Inwieweit aber wurden diese Ansätze aufgegriffen und schöpferisch weitergebracht und inwieweit sind sie für uns lediglich „hellseherische Mitteilungen“ Rudolf Steiners geblieben? Inwieweit besteht ein Anthroposoph in einem Dialog mit einem Nicht-Anthroposophen, wo er sich nicht einfach auf die Autorität Rudolf Steiners berufen kann, wenn es darum geht aus eigener Kraft einzusehen, dass es in der Tat überhaupt welche siebenfältige Rhythmen in der Geschichte gibt?

Richard Seddon in seinem Buch Europa. A Spiritual Biography hat über das Wesen der Zeitgeister eigentlich nur das zusammengefasst, was Rudolf Steiner gesagt hat, was sich je auf eine Seite zusammendrängt.2 Dann fährt er fort mit Aufzählung aller Ereignisse, die sich im bestimmten Zeitalter des betroffenen Erzengels abspielten, ohne zu unterscheiden, was davon eine Wirkung des Zeitgeistes und was durch andere geistige Mächte verursacht worden ist. So bilden die Erzengel-Zeitalter nur ein formales Schema zur Einteilung der Kapitel ohne zu wissen, ob es einen inneren Zusammenhang zwischen dem Inhalt des Kapitels und der Aufschrift überhaupt gibt.

Die Aufschrift über Anael lautet zum Beispiel: „Die Venus-Herrschaft von Anael – Zeitalter der Völkerwanderungen“, was missleitend ist, weil die Völkerwanderung durch einen Einschlag des Mars entstand, der im 4. Jahrhundert als kleinerer Zeitgeist zufällig zusammen mit der Venus-Intelligenz waltete. Er hat die Nomadenstämme in Zentralasien aufgerüttelt und die Kettenreaktion in Gang gebracht, die eine Völkerwanderung zur Folge hatte. Man sieht aus der Geschichte, dass sich dies mindestens acht oder neun Mal wiederholt hat, und zwar immer in einem Mars-Zeitalter.

Sigismund von Gleich hat sich in seinen Marksteinen der Kulturgeschichte umfassender mit den Zeitgeistern beschäftigt, aber auch er nicht systematisch.3 Das Wissen von den Erzengel-Zeitgeistern ist bisher innerhalb der Anthroposophie nicht systematisch ausgearbeitet worden. Wilhelm Hoerner widmet in Zeit und Rhythmus den Erzengeln insgesamt nicht mehr als zwei Seiten.4

Eines der äußerlichen Hindernisse, das es den Anthroposophen erschwert die Tätigkeit der Erzengel klarer zu fassen ist, dass in der Anthroposophie der 354-jährige Rhythmus allein im Wirken dieses Engelchors bekannt ist. Es ist nicht bekannt in der Anthroposophie, dass es noch einen 72-jährigen Rhythmus gibt. Nach der babylonischen Astrologie beherrschen die sieben Erzengel zyklisch auch je einen Bogengrad des Himmelsgewölbes, dessen Ablauf in der Präzessionsbewegung der Erde 72 Jahre dauert.

Die Venus-Intelligenz waltet unter anderem auf 10°, 17°, 24° des Widders und 25° der Fische. Geht man aus der Tatsache heraus, dass die Priester Babyloniens (möglicherweise noch aus dem alten Hellsehen) zur Zeit des Nabon-Assars im Jahre 747 v. Chr. den Kalender vom Stier zum Widder umgestellt haben, erfolgen die zuletzt verflossene kleine Venus-Zeitalter auf die Jahre 189-261, 693-765, 1197-1269 und 1773-1845.

Nimmt man nur die gröberen Zyklen, gab es von den Regentschaften des Anaels in der ganzen Geschichte nur zwei: 108-463 und 2372-2017 v. Chr. Von der zweiten weis man bereits wesentlich weniger und die dritte fällt bereits in die verdunkelte Vorgeschichte. Um augensichtlich zu machen, dass es sich in der Geschichte in der Tat um die Rückkehr bestimmter Kulturmorphologie oder Sozialform handelt, und nicht nur um einen zufälligen Einzelfall, ist es nötig mehr als ein oder zwei Wiederholungen zu beobachten. Der 354- und der 72-jähriger Rhythmus miteinander kombiniert ergeben ein feiner gegliedertes Netz, das es uns ermöglicht. Außerdem zieme es sich zu zeigen – wenn es sich nicht nur um ein Lokalgeschehen, aber wirklich um einen Zeitgeist, der über die ganze Erde waltet, handeln soll – dass ähnliche geschichtliche Symptome in zwei oder mehreren kulturell unabhängigen Gebieten der Erde gleichzeitig auftreten. Und das ist, was wir in diesem Artikel an Beispiel des Erzengels Anaels vorhaben.

Die Imagination des Erzengels Anaels

Anael ist die geistige Intelligenz der Venus-Sphäre. Es ist das Wesen, dessen Aufgabe es ist die Materie zu beseelen, fühlend zu  machen, mit Licht und Farbe zu durchdringen. Es zieht den Astralleib, den Leib der Gefühle, in den physischen Leib hinein durch den Kupferprozess. Durch seine Anwesenheit sind die markantesten Erscheinungen der Schönheit - wie Blumen, farbfedrige Vögel, Schmetterlinge, die schönsten Mineralien – in der Evolution entstanden.

Die seelischen Kräfte der Venus leben in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Deren leibliche Träger sind vor allem die paarigen Organe, Nieren und Geschlechtsdrüsen. In der Natur hängt das mit dem Erzeugen der Farben sowie auch Giften, in denen sich die abnormale Seite dieses Wesens äußert. Durch den Eingriff dieses Erzengels entstand in einem bestimmten Augenblick der Evolution die Differenzierung alles Lebendigen in zwei Geschlechter.

Am seelischen Himmel bedeutet die Venus Liebe, Schönheitssinn, Freude, Hingabe, Mitgefühl. Metaphysisch ist sie die ästhetische Ordnung der Welt. In der klassischen Astrologie stand sie auch für die Bezauberung, Verführung, Sinnlichkeit, Wonne. Eine Person mit der Venus-Dominante im Horoskop lässt sich durch ihre Gefühle leiten, lebt im Rhythmus ihrer Sympathie und Antipathie. Nicht zuletzt ist Venus die Patronin der Künste; der Musik, Poesie und des Tanzes.

Mit allen diesen Eigenschaften ist die Frau – durch ihr erhöhtes Gehalt an Kupfer im Blut – enger verbunden als der Mann, was sie zu der Aufgabe vorbestimmt, ihre Umgebung zu inspirieren, Harmonie in menschliche Beziehungen hineinzubringen, sowie auch zur Empfängerin auf die Erde sich inkarnierenden Seelen macht.

Anael ist die Wesenheit, die man im Altertum unter verschiedenen Namen verehrt hat als Göttin der Liebe: griechische Aphrodite, römische Venus, ägyptische Isis. Die chaldäische Inanna war die Göttin der Liebe, ebenso aber auch des Streites, weil sie, genauer gesagt, die Göttin der Leidenschaften insgesamt ist.

Die Pubertät

Schon Claudios Ptolemaios stellte im Tetrabiblos im 2. Jahrhundert die alte Anschauung fest, dass siebenjährige Perioden im Menschenleben unter besonderem Einfluss je einer Himmelssphäre stehen. Das erste Jahrsiebt wird beeinflusst vom Mond, das zweite von Merkur, das dritte von der Venus...

Auch ohne die Tradition zu kennen ist es offensichtlich, dass ein reifendes Mädchen oder Jüngling unter dem Einfluss der Venus stehen. Es ist durch den Eingriff der Venus-Kräfte, dass es um das 14. Lebensjahr zur tiefgreifenden Umgestaltung der physischen und psychischen Konstitution des jungen Menschen kommt. Der Astralleib steigt jetzt ins physische herunter, wodurch es sich verselbständigt und erwacht. Das innere Seelenleben erwacht und entfaltet sich so rasch, wie eine Blüte, die aus einer Knospe herausschlüpft und ihre Blütenblätter ringsum ausbreitet. Der junge Mensch entdeckt die Welt der inneren Erlebnisse, eine neue Art von Selbsterkenntnis, die Introspektion. Er beginnt in psychologischen Kategorien zu denken. Sehnt sich nach intimer Freundschaft.

Die Drüsen erwachen und bewirken die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale. Das Bedürfnis zu gefallen beginnt eine wichtige Rolle zu spielen. Es ist die Zeit der ersten Liebe. Es ist ja auch eine Zeit des Suchens nach dem Sinn des Lebens, den wahren Werten, den Idealen. Die Kraft der Liebe und Hingabe an das Ideal ergießt sich einerseits in die Vergötterung der geliebten Person, andererseits ins Experimentieren mit allem Mystischen und Religiösen.

Es ändert sich das Verhältnis des heranwachsenden Menschen zur Autorität. Während der jüngere Schüler noch Autorität als selbstverständlich annimmt, lehnt der Pubertierende die untergeordnete Rolle nur aus formalen Gründen ab. Sittliche Normen nimmt er nun dann an, wenn er von ihrem Wert selbst überzeugt ist. Sie müssen aus seinem eigenen Inneren hervorgehen. Das Verhandeln mit der Autorität und ihr demonstratives Ablehnen gehört zu den typischen Merkmalen der Pubertät. Stichwort der Pubertät ist: Verselbstständigung, Unabhängigkeit, Freiheit! Unreife Haltung zusammen mit Impulsivität und emotionaler Labilität führen zur Spannung und häufigen Konflikten in der Kommunikation und zwischenmenschlichen Beziehungen.

Die Romantik

Wo trifft man in der Geschichte an dasselbe Erscheinungsbild wie es in der Pubertät ist? In der Romantik! Der romantische Geist lässt sich durch sein Gefühl leiten. Die Romantiker haben das Subjektive, Irrationelle, das Geheimnisvolle über das nüchtern verstandesmäßige gestellt; die Ekstase, das sich Einfühlen in die Natur zu einer Erkenntnismethode erhoben.

Ein Jahr danach, als Anael das Zepter des Zeitgeistes übernommen hat, in 1774 erscheint Goethes Die Leiden des jungen Werthers. Und gleich findet man Leichen von Jünglingen zerstreut durch Europa, die Selbstmord begangen haben aus unglücklicher Liebe in demselben dunkelblauen Frack mit einer gelben Weste und Hosen wie Werther.

Bedenkt nur! Der altbabylonische Priester hat vor 5000 Jahren, anfangs der ganzen Geschichte, das Datum aufs Jahr genau hervorgesagt: 1773-1845! Es ist die Zeit der großen romantischen Dichter: Goethe, Schiller und Novalis in Deutschland; Pushkin und Lermontoff in Russland; Byron, Shelley und Keats in England; Lamartine und Musset in Frankreich. Der romantischen schule in der Philosophie: Schlegel, Schelling, Schleiermacher. Der Landschaftsmalerei: Friedrich, Constable, Hokusai.

Im welchen krassen Kontrast steht die neue Stimmung der Weltseele zu der noch hervorgehenden Generation der Aufklärung, die den Verstand über alles gestellt hat! Eine Stimmung des Weltschmerzes, der Melancholie aus der Unvereinbarkeit der Schönheit mit der Realität.

Und es tauchen auch weitere Wesenszüge der Pubertät konsequent auf: romantische Schriftsteller begründen das Recht auf die Revolte; das Recht auf die Liebe ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen. Die wichtigste politische Forderung der Zeit ist Freiheit geworden. Das Bild des Prometheus kehrt zuerst in die Kunst ein, und bald setzt man ihn in die Tat um.

1789 stürmt die Menge die Bastille unter dem Stichwort „Liberté, egalité fraternité!“. Die französische Revolution flammt auf. In der Zeit lodern bereits die Flammen der Revolte in ganz Europa. Der Aufstand des Pugachev in Russland; des Kosciuszko in Poland; Karadjordjev in Serbien; Paolo in Korsika; Andreas Hofer in Tirol; Wolfe Tone in Irland; Befreiungskriege in Lateinamerika. Chartisten, Dekabristen, Karbonari – alle lehnen sich gegen den Absolutismus, gegen das ancien régime auf.

Aber der Geist der Revolte hat nicht nur die ganze westliche Halbkugel, sondern auch die östliche ergriffen. In China organisieren Geheimgesellschaften Aufstände: Aufstand des weißen Lotus, der acht Trigramme usw. Unzählige Bauernaufstände in Indien. Die Flammen der Revolution lodern in der ganzen Welt.

Man übersieht ganz, dass die Romantik eine Bewegung war, die nicht auf Europa begrenzt war; dass es ebenso solche entfernt liegende Länder betrifft wie zum Beispiel Vietnam, wo es unabhängig aus rein inneren Impulsen entstanden ist. Die Vietnamesen haben den veralteten, längstgehassten Regime der Nguyens in dem selben Jahr definitiv weggeschafft, in dem die Franzosen schlussgemacht haben mit dem letzten Bourbone. Die größten Dichter Vietnams waren Zeitgenossen Goethes und Schillers und nahmen sich auch derselben Motive wie die europäische Schriftsteller an: das Recht auf Liebe aus freier Wahl und auf Revolte. Es sind die materialistischen Vorurteile, die es den Historikern verhindern den Zusammenhang zwischen den beiden romantischen Bewegungen im Westen und im Osten zu sehen.

Der Anael-Rhythmus in der Geschichte

Es ist möglich zu zeigen, dass der Erzengel Anael überhaupt der größte Inspirator der Poesie und Musik in der Geschichte ist. Anerkannte goldene Zeit der chinesischen Poesie (713-762) fällt zusammen mit dem Anael-Zeitalter 693-765. Es ist die Zeit des Li Po und Tu Fu. Zugleich läuft die größte Zeit der arabischen Poesie im Abendland um das Jahr 740. Das nächste Anael-Zeitalter (1197-1269) stellt dann den Gipfel der persischen Poesie und der provenzalischen Poesie der Troubadoure und des Minnesanges in Europa zugleich dar. Mit dem weiteren (1773-1845) erschien die weltgrößte Konstellation der Dichter überhaupt. Die Poesie Indiens erblühte mit Kalidasa in einem noch älteren Anael-Zeitalter; und dasselbe gilt für den größten griechischen Dichter Homer. Die japanische Poesie Tanka erlebte drei Blütezeiten in drei nacheinander folgenden Anael-Zeitaltern, synchron mit den oben genannten.

Die Periodisation der Musikgeschichte, wie sie unter den Musiktheoretikern bekannt ist, stimmt ebenfalls mit dem Anael-Rhytmus überein. Aus fünf größten Umbruchsperioden in der Geschichte der Musik hat vier Anael mitinspiriert: Seit dem 3. Jahrhundert kennt man die antifonale Psalmodie; seit dem 7. Jahrhundert das gregorianische Choral; im 13. Jahrhundert ist der Gesang mehrstimmig geworden; um 1800 kam die Klassik. Beethoven, Paganini, Mozart, Haydn, Schubert, Chopin, Liszt – alle inkarnierten sich zusammen um das Jahr 1800 und trafen sich in Wien, in einer Stadt, deren Schutzgeist der Erzengel Anael ist.

Die weltgrößte Konstellation der Dichter sowie der Komponisten erschien also unter den anmutigen Flügeln dieses Erzengels, der die wesenhafte Idee der Schönheit und Anmut selbst ist. Desselben Wesens, das einst, in der Kreidezeit, die Stimmbänder der Singvögel geformt hat, und die ganze Natur durch Gesang, Duft und Farbenpracht erfüllt hat.

Der geschlechtliche Dimorphismus, der einmal durch die Wirkung dieses Erzengels entstand, und der in damaligen Zeit wieder markant hervortrat, wiederholt sich im Individuellen in der siebenten Woche der Embryonalentwicklung (die die Zeit, wo die Vögel sich entwickelten, wiederholt), dann während der Pubertät, und man kann ihn bis in die Geschichte der Skulptur oder Kleidung in den Anael-Zeitaltern verfolgen.

Es haben andere Historiker unbewusst auf den unsichtbaren Zusammenhang von verschiedenen Anael-Zeitaltern untereinander hingewiesen. E. W. Heine zum Beispiel fasst seine Analyse des leidenschaftlichen Charakters des 13. Jahrhunderts so zusammen: „Im Leben jedes Menschen gibt es eine Phase, wo alle diese Widersprüche miteinander ringen, und das ist die Pubertät. Gotik ist die Pubertät des Westens“.5

Sigismund von Gleich – nicht wissend, dass es sich wirklich um eine rhythmische Gesetzmäßigkeit im Wirken des Anaels handelt – weist auf Betrachtungen anderer Historiker über den inhaltlichen Zusammenhang zwischen Romantik und des spätantiken Roms zur Zeit des Kaisers Hadrian im 2. Jahrhundert hin: „Gregorovius‘ geistvolle Studie über Hadrian und seine Zeit charakterisiert diese schwer erfassende, weil vielseitig veranlagte Eingeweihtenpersönlichkeit sowie die... schöngeistigen und romantisch-mystischen Eigentümlichkeiten seines Jahrhunderts so anschaulich, dass die auffallenden Ähnlichkeiten mit der Geistesart der goetheschen Epoche und ein Schicksalszusammenhang der beiden Zeiten mit Händen zu greifen ist. Die romantische Ironie, dieses Hervorheben des Ich und seiner gegen die Welt setzenden Willkür und Laune zieht sich überhaupt durch das ganze römische Leben dieses Zeitraumes, stellt Gregorovius fest... weit verbreiteter und hoch entwickelter Sinn für Schönheit und demzufolge eine vielseitige Blüte der Künste. Goethe war übrigens der Ansicht, er habe eine frühere Verkörperung zur Zeit Hadrians durchlebt. Sodann ein überraschendes Aufflammen der Liebe und Barmherzigkeit, sich äußernd in privaten und kaiserlichen Wohltätigkeitseinrichtungen, und zwar keineswegs nur in den Kreisen der Christen!“3 Die „Erhöhung der Inanna“, die in dem alten großen Anael-Zeitalter im Akkad geschah, wiederholte sich in der römischen Spätantike, wo sie als ägyptische Isis die beliebteste Göttin überhaupt geworden ist.

Wir können hier nicht an alle Facetten der Venus-Wirksamkeit herangehen und sie durch ganze Geschichte diachron und synchron durch verschiedene Länder vergleichen. Wir haben das für alle sieben Erzengel für die ganze Geschichte und Vorgeschichte seit der Steinzeit in unserer Angelologie der Geschichte auf 646 Seiten ausführlich getan.7 Lasst uns jetzt weiter nur einen Aspekt der Venus-Intelligenz verfolgen: und zwar die Auflehnung gegen die Autorität.

Rebellische Zeiten

Es  ist in der Esoterik eine längst bekannte Tatsache, dass die  Planetenkräfte eine spezifische Beziehung  zu den Wesensgliedern des Menschen haben. Die Sonne ist mit dem Ich verbunden; Venus  und Mars mit dem Astralleib; Merkur und  Jupiter mit  dem Ätherleib; Saturn und Mond mit dem physischen Leib.

Venus und Mars stellen die zwei Grundkräfte unseres Astralleibes, zwischen denen unser Gefühlsleben hin und her wogt – die Kräfte der Sympathie und der Antipathie dar. Sie sind auf unserem  Seelenhimmel das,  wodurch wir lieben und hassen; wodurch wir Freude,  Entzückung, Wonne oder Abscheu, Ekel, Zorn erleben.

Alle diese Aufregungen und Leidenschaften, die einen ebenso wie die anderen, nagen langsam an unserem Ätherleib; stören die Lebensfunktionen und bringen sie  außer Gleichgewicht. Es spielen sich durch den Astralleib in uns fortwährend Prozesse des Abbaus, des Zerstörens ab. Jupiter und Merkur dagegen leben in uns als die Kräfte der ruhigen Besonnenheit des  Denkens, die eine Dämpfung der Leidenschaften verlangen und die aus unserem Lebensleib aufbauend wirken.

Es ist daher logisch zu vermuten (aufgrund  der oben genannten Erkenntnis),  dass die Zeiten der  Vorherrschaft derjenigen Erzengel, die den Ätherleib bekräftigen, eher Zeiten des ruhigen Aufbaus sein werden - und die Zeiten der Vorherrschaft derjenigen Erzengel, die ihre Kräfte in den Astralleib hineingießen, Zeiten einer großen Aufregung der Leidenschaften.

Ist es  in  der Tat so? Keine von diesen Zeiten können  wir in ihrer reinen Gestalt erleben, weil in jeder Zeit, immer alle  Erzengel zugleich wirken, nur einer oder mehrere von ihnen herrschen in dieser oder jener Zeit relativ vor. Erwarten kann man daher nur relativ ruhigere und  relativ erregte Zeiten. Vorausgesetzt, dass andere Bedingungen die gleichen sind, sollten die  Samael- und Anael-Zeitalter mehr zum Aufbrausen der Affekte, Unzufriedenheit, Aufruhr neigen.  Es mögen die Zeiten der Verschwörer, Unruhestifter, der Piraten und Räuber sein; turbulente Epochen wie das Revolutionsjahr 1848, Bauernaufstände und Plünderungen des 14. Jahrhunderts oder die große sozialistische Oktoberrevolution in Russland.

Verschiedene Länder haben solche Unruheepochen in verschiedenen Zeiten gehabt. In Rom zum Beispiel gab es die größten Unruhen im 1. Jahrhundert v. Chr., als die Römer um die Verbindung mit ihrem Volksgeist rangen und es bildete sich das Kaisertum, und dann in dem Anael-Zeitalter im 3. Jahrhundert. Der erste Zeitpunkt hang mit einem kritischen Augenblick in der Entwicklung der lateinischen Volksseele zusammen, mit ihrem individuellen Schicksal, und  spielte sich in der Zeit ab, als der lateinische Volksgeist (Saturn) Zeitgeist  war und sein Wirken gipfelte. Der zweite Zeitpunkt hang mit dem Zeitgeist als solchem zusammen, mit Anael, und betraf deswegen nicht nur Rom allein, aber zum Beispiel auch China, wo auch die größten Aufstände (z. B. „der gelben Turbane“) ums Jahr 200 aufbrachen, als  sich die Anael-Wirkung verdoppelt hat, und beendeten die vierhundert Jahre lange Regierung  der Han-Dynastie.

Unruhen können also verschiedene Ursachen haben, unter denen der Zeitgeist nur einen Faktor darstellt. Man kann aber annehmen, falls wir mit historischem Material arbeiten werden, das umfassend genug ist, mit einer  größeren Anzahl von Staaten und  in einer genügend langen Zeitspanne, dass sich die Unterschiede, die aus der individueller Eigenart der Völker folgen, gegenseitig ausgleichen, und  eben das in den Vordergrund hervortreten wird, was  mit der Qualität der Zeit selber zusammenhängt.

Sorokin´s Studie der Unruhen in Europa

Berühmter amerikanischer Soziologe russischer Herkunft Pitrim  A. Sorokin ausarbeitete mit seinem Forschungsteam eine ausführliche Studie der innerstaatlichen Unruhen in Europa seit 475 bis 1925, also für das Mittelalter und  die  Neuzeit.  Er schloss 1622 innerstaatliche Unruhen, größere und kleinere Revolutionen und Aufstände aufgezeichnet in der Geschichte Europas ein. Jeder Aufstand ist einzeln ausgewertet worden aufgrund einer Punkttafel hinsichtlich seines Ausmaßes, seiner  Dauer und Intensität. Je weiteres Gebiet er ergriff, je größeren Anteil der Bevölkerung nahm teil, je länger er dauerte und je gewalttätiger er war  - desto höhere punktuelle Bewertung erhielt er.

Die  imposante Menge an empirischem Material, die Sorokin mit seinem Team zusammenbrachte, verwandelte sich leider in keine Weisheit.  Sorokin war nicht imstande die erfolgende Kurve zu enträtseln: „Die Kurve fluktuiert, das ist alles, was man über sie sagen kann. Kaum sind irgendwelche Periodizitäten im Aufsteigen und Fallen der innerstaatlichen Unruhen zu sehen. Ihr Tempo sowie auch  der Rhythmus sind veränderlich. Seit einer Zeitperiode zur anderen löst das piano oder pianissimo das forte ab  und umgekehrt. Deshalb sind alle modernen Theorien, die den soziokulturellen Prozess nach mechanischen Prinzipien zu interpretieren und ihnen bestimmte Periodizitäten zuzuschreiben versuchen, falsch“.6

Und im nächsten Abschnitt fasst er seine Ergebnisse zusammen: Die Maxima hat die  Kurve der Unruhen im 8., 13., 14. und 19. Jahrhundert erreicht – lauter Anael-  und Samael-Zeitalter! Die Minima im 7., 10., 16. und  18. Jahrhundert -  lauter Zachariel- und Raphael-Zeitalter! Das absolute Maximum erreicht die Kurve im 13. Jahrhundert -  in der Zeit, als Samael und Anael miteinander zusammenwirkten!

Sorokin konnte aus der ganzen Kurve nur die dominante Spitze im 13. Jahrhundert und dann noch einen Aufstieg im 20. Jahrhundert erklären. Das war im Einklang mit seiner Annahme, dass es zu Unruhen kommt, wann immer das so genannte sensitive System der Wahrheit das ideationelle System der Wahrheit ablöst und  umgekehrt. Weitere zwei oder drei Spitzen widersprachen seiner  Theorie. Es gibt keine  einzige soziologische Theorie, die mit diesen empirischen Fakten eine solche klare und  eindeutige Korrelation aufweist, wie unsere Erkenntnis über das Ablösen der Zeitgeister: das erklärt nämlich alle acht Maxima  und  Minima von Sorokin´s Kurve und dazu noch auch warum das absolute Maximum das 13. Jahrhundert ist!

Mit Ausnützung von Sorokin´s Angaben für jedes Vierteljahrhundert können wir die durchschnittlichen relativen Koeffizienten für jedes Erzengel-Zeitalter einzeln errechnen:

 

Raphael                                     Anael

625-750:            4,04                 700-775:            7,66

825-1175:          6,46                 1200-1275:        8,64

1700-1775:        3,65                 1775-1850:        9,10

 

Zachariel                                   Samael

475-825:            5,66                 825-900:            6,48

900-975:            5,25                 1175-1525:        7,97

1475-1550:        5,41                 1917-                 11,84

 

Der durchschnittliche Index von Unruhen in den Raphael-Zeitaltern ist 5,82; in den  Zachariel-Zeitaltern 5,56. Aber in den Samael-Zeitaltern 7,94 und in den Anael-Zeitaltern sogar 8,47!

Die Ergebnisse sind stabilisiert – das bedeutet, dass die statistische Probe genügend groß ist. Der Index der Unruhen in allen sechs Raphael- und Zachariel-Zeitaltern oszilliert nahe von dem Durchschnittswert – zwischen 3,85 bis 6,46. Die Samael- und  Anael-Zeitalter bewegen sich aber  alle von 6,48 aufwärts bis zu 11,84. Das  heißt, das auch das turbulenteste Zachariel- oder Raphael-Zeitalter ist immer noch ruhiger als das sanftmütigste Samael- oder Anael-Zeitalter!

Dabei das einzige Samael-Zeitalter, dessen Index heruntergefallen ist bis 6,48, ist das 9. Jahrhundert, als Samael zusammen mit Raphael wirkte,  der ihn  mäßigte. Sonnst bewegen sich alle Indexe der Samael- und  Anael-Zeitalter von 7,66 aufwärts. In den Samael- und Anael-Zeitaltern gab es in Europa durchschnittlich um 40% mehr innerstaatlichen Unruhen und Aufstände als  in den Zachariel- und  Raphael-Zeitaltern.

Zwei weitere Erzengel – Oriphiel und  Gabriel – oszillieren in der Nähe von Durchschnittswerten, die nur  klein wenig höher sind als die von Zachariel  und Raphael: 5,92 und 6,11.

 

Gabriel                                             Oriphiel

550-625:              6,48                     475-550:              5,53

1050-1125:          6,34                     975-1050:            6,73

1525-1875:          5,98                     1550-1625:          5,49

 

Samael und Anael heben sich von den übrigen Erzengeln deutlich ab; dabei der Kontrast unter ihnen ist noch dadurch verdeckt, dass die Samael- und  Anael-Zeitalter mit anderen Zeitaltern vermischt sind, und ihre hohen Werte rechnen sich auch den übrigen Erzengeln ein, die mit ihnen in der gegebenen Zeit zufällig zusammenwirkten. Wenn wir nur  die Zeitperioden zusammenzählen, wo die übrigen Erzengel  allein, ohne Beimischung von Venus- und Marskräften wirkten, bekommen wir ein noch schärferes Bild davon, was für einer jeder Erzengel  ist:

 

Zachariel            5,22

Raphael             5,54

Gabriel               5,59

Michael              5,89

Oriphiel             5,92

 

Und Samael und Anael ohne Zusammenwirken mit Zachariel und Raphael:

 

Samael               8,60

Anael                 8,87

 

Sorokin´s Angaben bestätigen eindeutig die  Annahmen der Geisteswissenschaft,  sowie auch die tausendjährige geistige Tradition des Westens: Zachariel ist der Inspirator des gewöhnlichen, alltäglichen, ruhigen Lebens, der Ordnung. Raphael ist der Heiler; er wirkt heilend im  menschlichen Organismus ebenso wie im Sozialorganismus des Staates.

Die beiden „Teufel“ – die Erzdämonen des dritten und des fünften Engelchors, Luzifer und Satan -  ragen  augenscheinlich aus der Reihe hervor. Der größte Revolutionär in der Geschichte überhaupt ist Luzifer, der gefallene Morgenstern, der Geist der Hochmut, der schon vor Äonen im Himmel rebellierte und stellte sich auf die Spitze der aufständischen Engel. Er ist es, der immer dabei ist, wo man den Widerstand gegen die Autoritäten organisiert; er schlägt vor auf die erste Seiten der Revolutionsurkunden einzutragen: „Die Leute sind seit der Geburt  an frei!“, wie auch der erste Artikel der französischen Revolutionsdeklaration der Menschenrechte lautete. Er hat zu tun überall da, wo es gilt die veraltete Autoritätsregime zu stürzen, die den eigentlichen freien Seelenleben der Menschen zu ersticken drohen; er verführt aber die Menschen auch dazu, die Freiheit nicht als Verantwortung zu verstehen, sondern als Eigenwillen.

Die erhöhte emotionale Labilität und Impulsivität in den Venus- und Mars-Zeitaltern entspricht im individuellen Leben des Menschen der Pubertät und  der Menopause. Den beiden Augenblicken also, wo sich das Astralleib,  das Leib der Leidenschaften, ins  physische  leib zuerst einlebt und dann sich von ihm wieder lockert.

Lee´s Kurve der Unruhen in China

Die regelmäßige Abwechslung der ruhigen und unruhigen Zeitperioden in der Geschichte des Westens ist eine  Tatsache, die die alten Seher wahrgenommen haben und  sie ist in der westlichen  geistigen Tradition enthalten. Gibt es denselben Rhythmus auch in anderen Weltteilen? Oder gilt er nur für Europa? Gilt etwa die christliche Lehre von Engelhierarchien nur in den traditionellen christlichen Ländern? Und  kann  man erwarten, dass verschiedene  Subjekte auf dieselben Impulse in gleicher Weise reagieren werden? Falls die von uns  erforschte Wesen wirkliche Zeitgeister sind, und  nicht nur Lokalgenien Europas, kann man vernunftmäßig annehmen, dass  die anderen Weltteile auf die von den Erzengeln ausgelösten Änderungen des geistigen Klimas in gewisser  Hinsicht spezifisch reagieren werden, sonst aber ungefähr in derselben Weise als sonst wo.

J. S. Lee erarbeitete eine ähnliche Studie wie Sorokin für die Geschichte Chinas. Für das Erforschen von langfristigen Periodizitäten eignet sich kaum ein Land besser als China mit seiner langen Geschichte. Lee nahm die chinesischen Chroniken und zählte fast alle innere Konflikte in der chinesischen Geschichte seit 221 v. Chr. zusammen,  also für den Zeitraum, wo Eintragungen schon relativ zuverlässig und vollständig sind. Die Anzahl der Konflikte für jedes Jahrfünft einzeln zeichnete er in einer Kurve auf. Lee zog in Betracht nur die Anzahl der Konflikte, er untersuchte nicht ihre Magnitude wie Sorokin. Wir müssen also seine Studie als weniger gründlich betrachten als die von Sorokin. Andererseits untersuchte Lee einen um 700 Jahre längeren Zeitabschnitt als Sorokin und  bezog mehr als 2000 Konflikte ein.

Lee vermutete, dass er in der chinesischen Geschichte bestimmte Regelmäßigkeit fand. Er teilte die Kurve in drei langfristige Perioden von 810 und 780 Jahren auf. Die erste seit 221 v. Chr. bis 589; die zweite seit 589 bis  1368; die dritte seit 1368 bis  heute. Jede von diesen Perioden beginnt mit einem  Ausbruch von Bürgerkrieg, der schnell endet und das Land tritt in eine lange Epoche des Friedens und außergewöhnlichen kulturellen und technischen Errungenschaften. Ungefähr seit der Mitte der Periode beginnt die Kurve der Unruhen immer öfter zu steigen, nur kurze Zwischenräume des Friedens zwischen immer größerer Anzahl von Kriegen übrig lassend. Eine Periode endet und  eine zweite beginnt mit einem allgemeinen brüdermörderischen Krieg und Anarchie. Danach wiederholt sich dasselbe. Lee glaubte, dass die Kurve in jeder Periode sieben Wellen hat,  wobei die fünfte die kleinste ist.

Sorokin war der Ansicht, dass Lee´s Schlussfolgerungen etwas übertreiben im Hinblick auf die  Angaben in seinem Diagramm. Die nicht abgerundete Kurve der Konflikte weist eine Anzahl von Gipfeln auf,  die schwer zu bestimmen ist: in der ersten Periode 10 bis 12;  in der zweiten nur 9; in der dritten bisher nur 4 oder 5. Dazu sind noch die Amplituden von diesen Wellen, sowie auch ihre Zeitspannen verschieden. Die Soziologen kamen zu keinem Schluss außer dem, dass: „Die Daten weisen kaum eine wirkliche Periodizität oder einen einheitlichen Rhythmus auf. Sie zeugen nur von Schwankungen im Rhythmus und in der Anzahl von inneren Konflikten, in denen  man keinen Trend beobachten kann“.6

Keinen  Trend! Es genügt ein flüchtiger Blick auf Lee´s Kurve um zu sehen, dass das, was  Lee ins Auge gefallen ist – die zwei Zeiträume von  außergewöhnlich dicht  nacheinander folgenden Konflikten in 180-589 und 1100-1368 -  nichts anderes sind als das  große Anael-Zeitalter 108-463 und das große Samael-Zeitalter 1171-1525! Die größte Welle von Unruhen überhaupt, die auf der Kurve aufgezeichnet ist in den Jahren 850-910, ist das kleine Samael-Zeitalter 837-909!

Lee fiel ins Auge, dass nach der 400-jährigen Regierung der Han-Dynastie wechselte sich mit der Ankunft von Anael in den nächsten 400 Jahren eine ganze Reihe von Dynastien: die „drei Königreiche“, westliche und  östliche Tin, die „sechs Dynastien“ und Suei. Dann wieder nach einer 300-jährigen Blütezeit während der Tang-Dynastie begannen sich nach dem  Eingriff von Samael auszuwechseln: die „fünf Dynastien“, nördliche und südliche  Sung und Jüan. Und danach  kamen wieder die langlebigen Dynastien Ming und Tsching, beide von  300 Jahren.

Die allergrößte Anarchie gab es in dem großen Anael-Zeitalter, weil hier sich etwa zwölf oder fünfzehn Dynastien auswechselten. Das ist doch dasselbe Phänomen wie in dem ältesten großen Anael-Zeitalter in Ägypten, als  sich in  kurzer Zeit sechs Dynastien auswechselten und eine große Menge von ephemeren Königen! Es fallen niemals Dynastien so schnell wie unter der Herrschaft von Anael! Anarchie ist für die Anael-Zeitalter typisch.

Wenden wir jetzt auf Lee´s Angaben dieselbe Rechenprozedur wie auf die von Sorokin an. Wir rechnen die  durchschnittliche Anzahl von Konflikten für das ganze untersuchte Zeitabschnitt für jeden Erzengel einzeln aus: In  den Raphael- und Zachariel-Zeitaltern spielten sich durchschnittlich 7 bis 8 Konflikte pro  Jahrzehnt ab; in den Samael- und Anael-Zeitaltern 11 bis 12! In den Samael- und Anael-Zeitaltern spielten sich in der chinesischen Geschichte mindestens um 60% mehr Konflikte als in den Zachariel- und Raphael-Zeitaltern!

Wenn wir jetzt (ebenso wie im ersten  Fall) aus den untersuchten 2150 Jahren 336 auslassen, in denen sich die Einflüsse von den gegensätzlich wirkenden Erzengeln gegenseitig störten, bekommen wir noch ein  kontrastreicheres Ergebnis. Den reinen Raphael- und  Zachariel-Zeitaltern fallen durchschnittlich 6 bis 7 Konflikte zu;  den Samael- und Anael-Zeitaltern 12 bis 13!

 

Raphael             5,79

Oriphiel             5,97

Zachariel            7,12

Michael              8,22

Gabriel               8,30

 

Samael               12,11

Anael                 12,52

 

Wir  bekamen, im Grunde  genommen, dasselbe Bild wie in  Europa. Die „anständigen“ Erzengel bilden eine fest geschlossene Gruppe, mit je 6, 7 oder 8 Konflikten pro Jahrzehnt. Samael und  Anael stehen vereinsamt und die Kluft zwischen ihnen und  den übrigen Erzengeln ist noch auffallender als in Europa!

Verschiebungen haben  sich nur innerhalb der Gruppe der „anständigen“ Erzengel abgespielt. Raphael ist auf die Spitze der Liste geraten. Gabriel und Michael tauschten untereinander die Plätze. Die größten Veränderungen geschahen mit Oriphiel und Zachariel. Oriphiel rückte sogar um drei Sprossen nach oben vor, wodurch er Zachariel bis an den dritten Platz hinausschob. Er platzierte sich knapp hinter Raphael und ist beinahe selber an die Spitze der Liste geraten.

Die Unterschiede zwischen den Erzengel innerhalb der fünfgliedrigen Gruppe sind knapp und mögen das Ergebnis eines Zufalls sein. Sie können aber auch  eine Bedeutung haben. Zachariel ist doch der Schutzgeist Europas und Oriphiel der Schutzgeist Chinas! Natürlich, China ist in den Zeiten, als sich  die Macht der Erde nähert, die es geistig zusammenhält, am einheitlichsten. Ein vorbildliches Beispiel davon war die Vereinigung Chinas mit der Ankunft des großen Oriphiels im Jahre 221 v. Chr. unter der Tschin-Dynastie. Genauso kehren in Europa im Zachariel-Rhythmus Tendenzen zur Vereinigung wieder.

Darüber hinaus müssen wir noch bemerken, dass unsere Lösung im Vergleich zu der von Sorokin und Lee noch mindestens vier wesentliche Vorteile hat: Erstens, die Präzision, mit der sie die empirische Kurven, ihre Maxima  und Minima erklärt, und das mit  einer klarer  und eindeutig überzeugender mathematischer Korrelation und mathematisch in der einfachster möglicher Weise: durch eine Kombination von nur zwei einfachen Rhythmen ungleicher Länge. Zweitens, die Quelldaten sind nicht unsere und wir konnten sie nicht beeinflussen. Drittens, unsere Lösung erklärt mit einem  gleichartigen System das Geschehen in Europa und in China zugleich.  Und  viertens: sie entstand nicht ad hoc, durch ein nachfolgendes Spekulieren über den empirischen Daten und Suchen, was man an sie anpassen könnte – aber ist von vornherein kundgegeben und veröffentlicht worden. Von vornherein – eher sich alle diese Ereignisse in der Geschichte Europas und Chinas abgespielt hatten! Beide Rhythmen der Ablösung der Zeitgeister und ihre genaue  Daten sind mehr als zweitausend Jahre bekannt. Unsere Lösung hat also noch zu dem Explikationswert auch den Wert einer Prediktion (Voraussage).

Die Soziologen sind blind zu den einfachen Tatsachen, die vor ihren Augen liegen. Sie häufen empirische Angaben an, aber sie haben nicht die geringste Ahnung, wie man in  diesem Chaos von Myriaden von empirischen Angaben irgendein sinnvolles  System finden könnte.  Sie sind imstande sich nur einen eindimensionalen Rhythmus vorzustellen, der mechanisch abläuft. Schon zwei Rhythmen zusammen – ein 354-jähriger und  ein 72-jähriger – übersteigen ihr Vorstellungsvermögen. Vorschnell und unlogisch springen sie zu kategorischen Behauptungen über, dass es in der Geschichte keine Rhythmik gibt und gar geben kann.

Heutzutage legt man einen solchen Nachdruck auf die so genannte „Methode“, dass man fast glaubt, dass mit einer richtigen Methode auch ein Idiot Entdeckungen machen kann. Das stimmt nicht. Diese Weise, in der man jetzt die Wissenschaft treibt, führt zu einer ungeheueren Menge von Einzelheiten, die technisch nutzbar sind; aber niemals stand die Menschheit verständnisloser und dummer gegenüber der Natur und der Gesellschaft als Ganzem, als in diesem Zeitalter der Spezialisierung. Niemals gab es soviel Leute gebildet in der Weise, dass es nichts mit der Weisheit zu tun hat.

Das Leben lässt sich nicht  den seelisch  einseitigen, toten Systematikern fassen; es lacht sie aus. Die weit interessanteste und überraschendste Entdeckungen haben die Laien oder die Fachleute gemacht, die wenigstens ein oder zweimal im Leben das Gebiet ihres Interesses  wechselten. Nur in gewisser Weise harmonisch, ganzheitlich entwickelte Persönlichkeit darf sich den wirklichen Geheimnissen des Lebens und der Welt nähern und  den Schleier lüften. Nur im Streben um die Ganzheit wächst die schöpferische Kraft.

Kann man Engel beweisen?

Es  passierte mir oft in den anthroposophischen Zirkeln, wenn der Nachweis der Anwesenheit der Engel ins  Gespräch kam, dass man mir gleich automatisch erwiderte: „Die geistige Welt kann man nicht beweisen, weil... Rudolf Steiner hat gesagt, dass es der menschlichen Freiheit widersprechen würde“. Das stimmt schon. Aber Rudolf Steiner hat ebenfalls gesagt, dass euch einer, der nicht hellsehend ist, sich davon überzeugen kann, dass die Mitteilungen des Geistesforschers mit dem Zustand der Dinge stimmen. Zwar würde er keine  übersinnliche  Tatsachen von selbst entdecken können, nachprüfen aber kann er sie.

Was soll man also unter Beweis verstehen? Was für ein Unterschied gibt es zwischen dem, was  man für einen Beweis zum Beispiel in der Physik und in der Geisteswissenschaft hält? Sind Engel übersinnlich? Die Gravitationskraft ist auch übersinnlich. Niemand  hat die Gravitationskraft selbst gesehen oder gemessen, immer nur ihre Wirkungen. Ebenso braucht man nicht die Engel zu sehen, aber nur ihre Wirkungen, um zu begreifen, dass es sie gibt. Man lachte  Newton noch fast  ein Jahrhundert aus, dass er eine geheimnisvolle mystische Kraft postuliert hat, die quer durch Nichts wirkt, ohne jeglichen Träger. Man akzeptierte dann aber, dass es die einfachste Denkweise ist, um die Erscheinungen der Schwerkraft praktisch zu handhaben. Man gewohnte sich die alltägliche magische Erfahrung als „Gravitationskraft“ zu  benennen.

So solle es mit den Engeln auch sein. Ihr regelmäßiges  Wirken ist eine  Tatsache, nicht weniger empirisch als irgendwelche andere; statistisch beweisbar durch dieselben Methoden als in der modernsten Quantenphysik, wo es sich inzwischen von unsichtbaren Kräften, die nur indirekt beweisbar sind, nur so wimmelt.

Worin besteht also der Unterschied? Die Gravitationskraft ist doch auch nichts anderes als ein Engel, nur aber ein ahrimanischer, weshalb nur eine rein mathematische Gleichung genügt um sie zu fassen. Der Unterschied liegt nicht darin, dass die Engelwesen etwa nicht empirisch wären. Aber darin, dass man um ihre Empirik einzusehen, nicht mehr mit rein mechanischen, mineralartigen Begriffen ausreicht. Man reicht nicht  mehr  mit den quantitativen Begriffen aus, um die empirischen Tatsachen sinnvoll zu  ordnen. Es verlangt sich zu einer mehr beweglicher, qualitativer, mindestens pflanzenartiger Begriffsbildung zu erheben. Man muss sich zu der moralischen Begriffsbildung, zur exakten Imagination und Inspiration erheben. Die  Geschichte kann  man nur durch inspirierte Begriffe begreifen, weil es nämlich die Geister der Inspiration, die Erzengel sind, die sich in ihr äußern. Hat man die nicht, so sieht man überall im Geschichtsgeschehen lauter Chaos und Zufall.

Romantik – Dichtung – Liebe – Fortpflanzung – Farben – Blumen – Kupfer – Geschlechtsdrüsen –  Pubertät – rebellischer Geist. Diese  Dinge gehören ontologisch zusammen, sie kommen zusammen vor. Man muss sich zu einem klaren  Begriff erheben, der alle diese Begriffe in sich vereinigt. Das wäre die Venus-Intelligenz.  Das ist aber ein rein geistiger Begriff. Man kann sich ihn nicht als einen entsprechenden physischen Gegenstand denken. Auf der physischen Ebene zerfällt er in eine Familie von verwandten partiellen Begriffen.  Doch sind wir gezwungen uns diesen Begriff realistisch, und nicht nur nominalistisch vorzustellen. Er lebt als eine wirkende Ursache in der Welt, in der Natur und in der Geschichte. Also steckt er nicht nur  in unseren Köpfen.

Warum  sagt dann  ein Anthroposoph, dass man die Engel nicht beweisen kann? Auch die Beweise der Physik sind hier nur für einige,  für einen engen Kreis, der sich zu einer anspruchsvolleren Begriffsbildung erhob. Trotzdem bleiben sie Beweise. Ein Laie versteht keine Differenzial-Gleichungen und  könnte behaupten, dass in bestimmten Naturbereichen überhaupt keine Gesetzmäßigkeit zu fassen ist.  Er tut es  aber nicht, weil er weiß,  dass es an ihm liegt, und nicht an der Physik selbst, dass er die Jahre der Anstrengung dem Physikstudium nicht opfern wollte. Die Physiker wissen  schon genau, worüber sie sprechen; sie vermochten sogar  zukünftige Ereignisse vorauszusagen und das überzeugt.

Dasselbe vermochte auch die Angelologie und zwar in einer Weise, die sich die heutigen Sozialwissenschaften nicht mal träumen lassen. Dasselbe soll sich die Welt gegenüber der Angelologie bewusst machen. Es ist jedermanns private Angelegenheit, persönlicher Mangel, wenn er die Angelologie nicht verstehen kann. Man kann und  wird ihn nicht von außen zwingen sein Seelenauge zu veredeln.

Aber ist der, der es getan hat, wirklich darauf angewiesen darüber zu schweigen? Derjenige, der der Umwelt, die an  die Engel nicht glaubt, nichts anderes sagen kann, nur:„Macht Übungen! Man kann es nicht beweisen, nur innerlich erfahren!“ – verdeckt damit, dass er selber die Erfahrung noch nicht gemacht hat. Hätte er sie gemacht, so würde er gleich Beweise liefern  können. Es ist die Welt von ihnen voll. Das Problem liegt nicht darin, dass die Engel unbeweisbar seien, aber darin, dass man nicht weiß, was die Engel eigentlich sind, dass man sich darunter eigentlich nichts Klares vorstellen kann.  Das  gilt für den wissenschaftlichen Skeptiker ebenso wie für den Anthroposophen. Sobald man wirklich die oder jenige geistige Intelligenz innerlich erfährt,  sieht man unmittelbar, wie sie sich in der ganzen Welt äußert, und man kann darauf mit dem Finger zeigen. Es ist nicht  möglich es nicht zu sehen, sobald  man  ihren geistigen Inhalt wirklich begriffen hat. Sie wird plötzlich sichtbar genauso wie Elektromagnetismus oder Schwerkraft. Die  Materie wird  durchsichtig für den Geist.

Unsere Angelologie ist eine berechtigte Erweiterung der Wissenschaft, die sich nicht dadurch unterscheidet, dass sie nicht empirisch oder beweisbar wäre, aber auf einer veredelten Begriffsbildung beruht. Will die Wissenschaft die Begriffsbildung oder die Hypothesenbildung von vornherein begrenzen, so entpuppt sie sich selber als dogmatisch und pseudowissenschaftlich.

Es ist diese diamantene Klarheit  und Reinheit des Denkens und der inneren Schau, die  die Spitze der Michaelslanze bildet, vor der der Drache der Dunkelheit weichen muss. Sie ist es, die es ermöglicht, über die Engelhierarchien auch an den  Akademien der Wissenschaften, an den Universitäten, im Fernsehen, im Parlament, vor allen politischen und staatlichen Institutionen zu sprechen, ohne  dass es die Zuhörer zu schmähen wagen.  Gewiss murmelt eine Menge von ihnen weiter und  stimmt nicht zu. Es ist aber offenbar, dass sie es weiter nur aus persönlichen Gründen tun. Sie haben die geistige Überlegenheit verloren; Argumente sind ihnen ausgegangen, hinter denen sie sich versteckten. Geraten sie in Wut oder quatschen  Falsches, enthüllen sie nur sich selbst mit ihrem unaufrichtigen Verhältnis zur Wahrheit. Und es  hilft ihnen nichts, dass ich allein bin und sie Viele, ein voller Saal.

Ein  Anthroposoph, der dem Ahriman aus dem Wege geht, ist kein Anthroposoph. Wäre er wirklich mit Michael innerlich verbunden, müsste der andere den Weg räumen und nicht umgekehrt. Lässt sich ein Anthroposoph in die Ecke  verdrängen durch das Argument, dass es mit dem Gerede über Engel nur eine private Angelegenheit des Glaubens oder persönlicher Erfahrung sei, so lässt er sich vom Ahriman den Sand in die Augen streuen.

Durch Schicksalsumstände ist die anthroposophische Gesellschaft in der Slowakei  während des Kommunismus fast vollständig ausgestorben. Eine Handvoll jungen Leute musste von vorne anfangen. Dank dessen haben wir Wege entwickelt, um mit den Nicht-Anthroposophen zu reden, weil es den Kreis der Gleichgesinnten nicht gab. Wir haben gelernt sich nicht auf die hellseherischen Mitteilungen Rudolf Steiners zu stützen brauchen und sich auf unsere eigene Erkenntniskraft verlassen. Von dieser Kraft hängt es  auch ab, inwiefern wird die anthroposophische Gesellschaft in der Welt ihre Isolation überwinden können und in die Außenwelt wirken.

 

1 Johannes Trithemius: De Septem Secundeis, id est, intelligentiis, sive Spiritibus post Deum moventibus. Sponheim, 1508.

2 Richard Seddon: Europa. A Spiritual Biography. Temple Lodge, London, 1995.

3 Sigismund von Gleich: Marksteine der Kulturgeschichte. Mellinger, Stuttgart, 1938.

4 Wilhelm Hoerner: Zeit und Rhythmus. Die Ordnungsgesetze der Erde und des Menschen. Urachhaus, Stuttgart, 1978.

5 E. W. Heine: New York liegt im Neandertal. Diogenes, Zürich, 1984.

6 Pitrim A. Sorokin: Social and Cultural Dynamics. Bedminster, New York, 1962.

7 Emil Páleš: Angelologie der Geschichte. Parallele und periodische Phänomene in der Geschichte. Sophia, Bratislava, 2000.