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Gold am Himmel

Hagal 4/2004

 

Leuchtendes Gold prunkt auf dem Hintergrund der gotischen Gemälde aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Ist dies Zufall oder ein tieferes Symbol? Ein technischer Trick oder bloße Konvention? Keiner aus den Reihen der Kunsthistoriker hat bis anhin den Sinn solcher Elemente in der Malerei in ihrer wirklichen Tiefe und Weite erfasst. Die Maler nämlich halten unbewusst diejenigen Erscheinungen des Geistigen Firmaments auf ihren Leinwänden oder Tafeln fest, die das Wechselspiel ganzer Kultursystemen bedingen.

Der Goldgrund ist ein Hinweis darauf, dass sich die abgebildeten Szenen nicht in der physischen, sondern in der geistigen Welt abspielen. Dies kann man sowohl aus der Wahl des Sujets sowie aus dem gesamten Konzept ersehen, denn diese Gemälde weisen bislang weder eine reelle Perspektive, noch reelle Proportionen auf. Wichtige Gestalten sind zweimal so groß wie die übrigen Protagonisten, was jedoch nicht die Darstellung ihrer körperlichen Größe bedeutet, sondern ihre Größe in der Welt der Ideen (Perspektive nach hieratischer Bedeutung ).

Mit dem Beginn der Renaissance im 15. Jahrhundert, überwog die blaue Farbe auf dem Hintergrund der Gemälde. Erst diese Abbildungen weisen reelle Proportionen sowie die Perspektive, wie wir sie kennen, auf. Der Wandel der Darstellungsweise in der Kunst verrät, wie sich die Menschen in der gegebenen Epoche fühlten und wie sich selbst verstanden. Der gotische Mensch fühlte sich noch als Bürger der geistigen Welt, als Lebender unter geistigen Wesen. Der Renaissance-Mensch fiel sozusagen vom Himmel auf die Erde. Er fand sich auf dieser dreidimensionalen Erde wieder, umgeben von physischen Gegenständen und über seinem Kopf leuchtete das nur noch mit den bloßen Sinnen wahrnehmbare Azurblau des Himmels.

Gold bedeutet den geistigen und Blau den irdischen Himmel. Auf einigen Gemälden aus der Übergangszeit zwischen Gotik und Renaissance sind diese beiden Himmel gleichzeitig dargestellt. Über einer realistisch abgebildeten Landschaft wölbt sich der blaue Himmel und darüber erstreckt sich – abgegrenzt durch ein Wolkenmeer – ein mit goldenem Licht erfüllter Raum des geistigen Firmaments, in welchem Christus, die Engel und die Heiligen thronen.

Woher stammt dieser goldene Hintergrund und warum hat er sich gerade im 13. und 14. Jahrhundert so verbreitet? Wer will, mag es auch so erklären, dass nach der Eroberung von Konstantinopel durch die Kreuzritter im Jahre 1204 große Mengen von byzantinischen Kunstgegenständen in den Westen geschafft wurden und die Kunsthandwerker sie dann nachzuahmen begannen. Die Migrationstheorie wird jedoch in Wirklichkeit nie imstande sein zu erklären, warum irgend ein kulturelles Element überhaupt migiriert; warum es manchmal begeistert nachgeahmt und dann wieder ganz abgelehnt wird.
Die goldene Farbe ist ursprünglich als Nimbus, als Licht der Weisheit, um die Köpfe der byzantinischen Heiligen leuchtend, in Erscheinung getreten; später überstrahlte sie den ganzen Hintergrund hinter den Gestalten und um das Jahr 1300 herum verbreitete sie sich dann in ganz Europa. In der selben Zeit erreichte die Philosophie der Scholastik, verkörpert durch Persönlichkeiten wie Thomas von Aquin, Albert dem Großen, Duns Scotus und anderen, ihren Höhepunkt. Das Gründen von Universitäten kulminierte in dieser Zeit. Die gotischen Maler fingen auf ihren Bildern ein, wie der Himmel in der Zeit der Hochscholastik im geistigen Gold der Erkenntnis aufleuchtete. Am goldenen Firmament der Gemälde der Spätgotik erstrahlt das metaphysische geistige Licht der Ideen, das die Menschen in dieser Zeit noch ganz direkt, durch die Gedanken als etwas Reelles erfassten. Als man dieses Licht der Gedanken nicht mehr wahrnahm, unterließ man es auch, sie auf Gemälden abzubilden. Der philosophische Realismus wurde durch den Nominalismus abgelöst. Und die Länder, in welchen man als erstes einen blauen Himmel malte, wurden zu den Wegbereitern der empirischen Wissenschaften.

Kurz vor dem Jahre 1300 lebten die Sonnenkults gleichsam auf: In Paris arbeitet ein Philosoph mit der Abbildung einer Sonne auf der Brust (zum Zeichen der Inspiration durch den Erzengel Michael) an der „Summa Theologica“. In Konarak bauen die Inder für ihren Sonnengott Surya den größten aller Tempel. In Cusco gründen die Inkas im Auftrag des Sonnengottes ihre Hauptstadt und legen sein Heiligtum mit goldenen Tafeln aus.

Während Jahrhunderten bezahlte man in Europa in Silber, Ende des 13. Jahrhunderts jedoch kamen goldene Münzen (Florenen und Dukaten) auf. Es war also „ein goldenes Zeitalter“ in einem viel weiteren Sinne. Das Sonnenmetall begann als Umlaufmittel und Wertmaß auf den Haupthandelsstraßen von Europa zu fließen.

Gleichzeitig begannen sich in ganz Europa ständische Parlamente zu bilden. Der Erzengel Michael steht an der Spitze der Sonnenmächte, welche dem Menschen seine ewige Individualität und seine Denkfähigkeit zum Geschenk gemacht hatten. Er ist der Behüter der Freiheit und der Würde des Einzelnen; der Inspirator der Demokratie und der großen Philosophie in der Geschichte. Die Fähigkeit des selbständigen Denkens und der Urteilskraft über die Dinge ist nämlich die innere Kehrseite sowie auch die Voraussetzung für jede demokratische Gesellschaftsform.

Michael greift in regelmäßigen Intervallen in die Geschichte ein: Alle 2500 Jahre als großer (354-jähriger) Zeitgeist; aber auch alle 500 Jahre als kleiner (72-jähriger) Zeitgeist. In seiner Begleitung kehrten in der Zeit der gesamten Antike und des Mittelalters die Wellen der großen Philosophen in periodischen Zyklen wieder. Der 500-jährige Rhythmus in der Geschichte der westeuropäischen, byzantinischen oder indischen Philosophie ist statistisch signifikant und schließt jeden Zufall aus. Die sogenannte ideative und sensitive Betrachtung der Wahrheit, der Idealismus und der Materialismus, überwiegen einander gegenseitig im Wechselrhythmus eines 500-jährigen Kreislaufs. Das silberne und das goldene Wertsystem, das eine auf der sinnlichen Wahrnehmung und Induktion gründend, das andere wiederum auf der direkten Einsicht der Ideen durch das Denken und auf der Deduktion, stehen in einem ewigen Widerstreit miteinander.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts leben wir erneut wieder in der michaelischen Epoche und die gesamte Gesellschaft befindet sich im Übergang aus dem sensitiven in das ideative Wertsystem. Die Maler haben das Ziel aufgegeben, die äußere Welt wahrheitsgemäß auf ihren Leinwänden widerzuspiegeln und versuchen unterbewusst, die übersinnliche Welt des Geistes zu erfassen. Der Materialismus in der Quanten- und Relativitätsphysik „hat sich selbst überwunden“, wie einst Karl Popper bemerkte. Auf den Bildern von Gustav Klimt ist der goldene Hintergrund wieder aufgetaucht und die Physik von Albert Einstein hat die deduktive Methode der Scholastiker von Neuem aufgegriffen, in welcher die Idee die Empirie dominiert. Der Währungsstandard hat wieder vom Silber zum Gold gewechselt.

Der Rhythmus der 354-jährigen Geister der Zeit war schon den Gnostikern bekannt; im ausgehenden Mittelalter beschrieb ihn Trithemius, der Abt von Sponheim in seinen Schriften und er ist auch in der Anthroposophie wohlbekannt. Bekannt war er auch Buddha und das buddhistische Rad des Dharma, welches sich einmal in 2500 Jahren um seine eigene Achse dreht, wird eigentlich durch den Kreis der sieben christlichen Erzengel gebildet.

Die 72-jährigen Geister der Zeit hat Rudolf Steiner nie ausdrücklich erwähnt. Aus seinem hellseherischen Beobachten heraus beschrieb er jedoch einige Eingriffe von geistigen Wesen in die Geschichte, welche mit diesem Rhythmus zusammenfallen. Er erwähnt auch das Eingreifen des Erzengels Michael um das Jahr 1250 herum.

Dieses Ereignis ist Teil des michaelischen Rhythmus, den schon die babylonischen Priester kannten und ihren heiligen Kalender darauf gründeten. In der Zeit zwischen 1269 und 1341 zeigte die Weltenuhr auf 2º im Widder, welcher von der Sonne beherrscht wird. Es war dies ein kleines Sonnenzeitalter.

Die Symbolik des Lichts begann damals auch in der Architektur vorzuherrschen. Die sog. „Gothique rayonnante“ (franz.) aus dem Ende des 13. Jahrhunderts erhielt ihren Namen wegen ihrer strahlenförmigen Ornamente. Die lichthafte Strahlensymbolik ist allgemein die Kernidee der michaelischen Architektur. In den ältesten Sonnentempeln von Ägypten standen Obelisken mit einer goldenen Spitze, was die Darstellung eines „versteinerten Sonnenstrahls“, die Verkörperung des Sonnengottes Re, bedeutete. Der Obelisk aus der ältesten michaelischen Epoche in der Geschichte wandelte sich in der michaelischen Epoche der Antike in die ionische Säule und in der gegenwärtigen Zeit wird er durch den Wolkenkratzer verkörpert.

Die große michaelische Epoche der Zeit von 600-246 v. Chr. war das große Zeitalter der Demokratie und das größte Zeitalter der Philosophie überhaupt. Auf der ganzen Welt traten Philosophen auf und behaupteten, von der geistigen Intelligenz der Sonne geleitet zu sein und lehrten den Menschen die Kunst der wachsamen Ausgeglichenheit des Geistes, der Selbstbeherrschung und der Selbsterkenntnis. Die Welt wurde gleichsam munter und erwachte aus dem mythischen Träumen heraus ins klare Denken hinein. In dieser Zeit blühten die Demokratien nicht nur in Europa, sondern auch Buddha wurde zum Beispiel in einem Land geboren, welches damals eine Republik war. Wie er selbst vorausgesagt hatte, sei eine der seinen gleiche Zeit 25 Jahrhunderte vor ihm dagewesen und werde auch 25 Jahrhunderte nach ihm kommen (er sprach von unserer heutigen Zeit).

Die Archäologen werden über die Tatsache ins Staunen versetzt, dass das erste Parlament schon 2750 Jahre vor Chr. im Land der Sumerer zusammenkam und sein Vorsitzender war der älteste Sonnenheld der Geschichte – Gilgamesch. Dies spielte sich in der ersten michaelischen Epoche der Geschichte ab.

Eine weitere große Gruppe von Sonnenhelden findet sich um das Jahr 1250 v. Chr (Perseus, Orfeus, Theseus, Herakles). Wenn wir jene Persönlichkeiten, welchen der Erzengel Michael (Abraham, Moses, Daniel, Kaiser Konstantin) oder eine andere Sonnengottheit (Zarathustra, Ayar Manco) erschienen war oder welche mit der Sonnensymbolik in Verbindung gebracht werden (Hl. Georg, Thomas von Aquin, Kyros, Sokrates, Buddha) auf einer Zeitachse aufreihen – zeichnet sich der Rhythmus des Erzengels Michael vor unseren Augen ab. Im Mythos des Orfeus kommt er ganz explizit zum Vorschein, denn Okeanos schwemmte seine Lyra 500 Jahre nach dessen Tod erneut an die Ufer des Festlandes. Das heißt ungefähr 750 v. Chr., als der lyrische Gesang seine Wiedergeburt erlebte, die orfischen Mysterien wieder auflebten und Uddalaka (der Autor der Chandogya-Upanischade) zum ersten bekannten Philosophen der Geschichte überhaupt wurde.

Der michaelische Rhythmus windet sich wie ein goldener Faden durch die ganze menschliche Geschichte. Doch müssen wir uns bewusst machen, dass der Impuls des Erzengels Michael in jedem platonischen Monat eine Metamorphose in eine andere Erscheinungsform hinein erlebt. Die Sonnenhelden aus dem Zeitalter des Stiers wandelten sich im Zeitalter des Widders in Weise und Philosophen. Die Philosophen führten den Rhythmus der einstmaligen Sonnenhelden fort und traten statt dieser auf. Die ersteren siegten im tapferen Kampf über mächtige Ungeheuer (Chimäre, Hydra, Minotaurus); die letzteren gewannen dank ihres klaren Denkens die Herrschaft über ihre triebhafte Natur. Der bildhaft-imaginativen Form des Bewusstseins im Zeitalter des Stiers und der rationell-gedanklichen Form des Bewusstseins im Zeitalter des Widders passte sich auch der michaelische Impuls an. Die Zeit des Orfeus und des Herakles war der Ausdruck der letzten michaelische Epoche im Zeitalter des Stiers und somit auch das letzte große Zeitalter der Sonnenhelden. Fünf Jahrhunderte danach kamen die ersten Philosophen. Die Hochscholastik war wieder die letzte michaelische Epoche im Zeitalter des Widders und das letze goldene Zeitalter der Philosophen im herkömmlichen Sinne dieses Wortes.

Wir leben in der ersten michaelischen Epoche des Zeitalters der Fische. Der michaelische Impuls muss weiter verinnerlicht werden und muss die Metamorphose in eine nächste höhere Stufe hinein durchlaufen. Die akademische Philosophie hat ihren Bezug zum Leben verloren und das Wort Philosoph ist vom abwertenden Beigeschmack eines wirklichkeitsfremden Theoretikers besetzt. Wer sind die Sonnenhelden der heutigen Zeit? Welche Art von neuer innerer Kraft müssen sie in sich entfalten, um mit Michael in Verbindung zu treten und im michaelischen Sinne tatkräftig in der Welt wirksam zu sein? Auf welche Art und Weise sollen wir, als Menschen der Gegenwart, an die erhabene Sendung der Helden der Vergangenheit anknüpfen? Möge diese Frage dem Leser als Thema zur Meditation dienen. Die Antwort darauf wird ja nur in dem Maße einen Sinn für ihn haben, in welchem er sie selbst in seinem eigenen Inneren zu entdecken vermag.

 

Páleš, E: Seven archangels. Rhythms of Inspiration in the History of Culture and Nature. Sophia, Bratislava, 2009.

Paleš, E.: Angelologie der Geschichte. Synchronizität und Periodizität in der Geschichte. Erweiterte zweite Auflage in tschechischer Sprache. Sophia, Bratislava, 2004.

Paleš, E., Mikulecký M.: Periodic Emergence of Great Philosophers in the History of Medieval Europe, Byzantinum & India. Gesendet an: Journal of the History of Philosophy.

Steiner., R.: Okkulte Geschichte. Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1992.